Jede Handlung hat Konsequenzen

Kennst du das: du spürst genau, dass dein Kind durch irgendwas belastet ist, aber es redet nicht mit dir darüber? Jede Frage wird mit einem: „Alles gut“ abgetan.

Was kann ich als Mutter tun? Ich spreche mein Kind an und biete immer wieder Räume für ein offenes Gespräch. Vielleicht öffnet es sich beim gemeinsamen Malen oder beim gemeinsamen Backen.

Irgendwann war es bei Luisa soweit. Ich hatte sie schon mehrere Tage lang beobachtet und mich gefragt: „Was bedrückt sie?“ „Warum sagt sie es mir nicht?“ Sie war noch in der Grundschule und es gab schon häufiger Konflikte und unschöne Situationen mit anderen Schülern. Ich machte mir Sorgen und hoffte, dass sie es mir erzählen würde.

Und endlich: Wir saßen gemeinsam am Tisch und spielten ein Spiel, als sie die Karten beiseitelegte und mit gesenktem Kopf sagte: „Ich muss dir was erzählen, aber ich bin nicht schuld! Ich hab‘ das wirklich nicht gemacht.“

„Okay“, sagte ich, „ich glaube dir. Erzähl mal um was es geht.“

„Ich war im Pausenhof und da kam ein Vater auf mich zu. Ich kenn‘ den gar nicht. Der packte mich am Arm und sagte, dass wenn ich nochmal seine Tochter ärgere, dann geht er zum Direktor. Aber ich kenne seine Tochter gar nicht, er hat mich verwechselt und jetzt geht er zum Direktor und der Direktor ruft bei dir an, aber ich habe doch gar nichts gemacht.“ Eine kleine Träne kullerte aus ihrem rechten Auge und ihre Anspannung war deutlich sichtbar.

Ich beugte mich über den Tisch, nahm ihre Hände und sagte: „Mein Schatz, sollte der Direktor jemals hier anrufen und sich über dich beschweren, dann werde ich immer zunächst dich nach deiner Sichtweise fragen. Ich werde dir immer glauben, was du mir erzählst.“ Ihre Schultern entspannten sich sichtlich, sie schaute mich an und lächelte. „Und noch was: wenn dieser oder ein anderer Vater, dich jemals wieder anfasst, dann sagst du es mir bitte gleich. Niemand darf dich einfach so festhalten und dir Angst machen!“

Als sie am nächsten Tag von der Schule zurückkam, sagte sie mir, dass dieser Vater wieder auf sie zugekommen sei. „Er hat gesagt er hätte mich mit einer anderen Schülerin verwechselt.“
„Hat er sich entschuldigt?“, fragte ich sie daraufhin.
„Nein, hat er nicht.“

Wir sprachen dann noch lange, darüber, wie schwach es von diesem Vater war sie so zu behandeln und sich danach nicht mal zu entschuldigen. Und wir sprachen darüber, wie es für die Tochter ist, wenn der Vater so reagiert. Wenn er gar nicht fragt, was los war, sondern einem Kind einfach droht um die eigene Tochter zu beschützen. Wenn nicht geprüft wird, ob die Tochter vielleicht auch einen Anteil an dem Streit hatte.

Während des Gespräches mit Luisa überkam mich eine Welle von Stolz und Dankbarkeit. Stolz darüber, dass meine Tochter in ihren jungen Jahren schon so reflektiert ist. Dankbarkeit darüber, dass sie es angesprochen hat und dass ich mir die Zeit nehmen konnte mit ihr ganz in Ruhe zu reden.

Im Laufe ihrer Schulzeit haben wir über viele Konfliktsituationen gesprochen. Wir haben häufig beobachtet, dass manche Eltern sich schützend vor ihr Kind stellen und lautstark sagen: „Mein Kind ist nicht schuld!“

Hierbei geht es doch gar nicht um Schuld. Hier geht es darum Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen, und das schon im Grundschulalter. Den eigenen Anteil zu sehen, um Veränderung zu ermöglichen. Es schmälert die Liebe nicht, wenn ich meinem Kind die Verantwortung für das eigene Verhalten aufzeige und es dabei unterstütze diese Situation gut zu überstehen. Kinder müssen geschützt werden und das kann ich auch dann, wenn ich ihnen aufzeige, dass Handlungen Konsequenzen haben.

Wenn Kinder nicht lernen Verantwortung für die eigene Handlung zu übernehmen, wachsen sie in der Vorstellung auf, dass andere die Schuld tragen. Sie lernen nicht sich selbst zu reflektieren und zu verlieren den Blick auf mögliche Veränderungen ihrer bisherigen Handlungen. Denn wenn andere schuld sind, kann ich ja nichts dagegen tun. Dann bin ich handlungsunfähig.

Bei meiner Arbeit mit Jugendlichen sind mir solche Situationen leider häufig begegnet und meine Arbeit im Gruppentraining sozialer Kompetenzen lag häufig darin den Kindern ihr Verhalten zu spiegeln und eine Klarheit über die Konsequenzen des eigenen Handelns aufzuzeigen. Ein Gespräch mit einem 13-jährigen Jugendlichen ist mir dabei besonders in Erinnerung geblieben, als wir über das Thema angemessenes Verhalten sprachen:

Er sagte zu mir: „Ist mir doch egal, wenn der mir doof kommt, dann knalle ich ihm eine.“
Meine Antwort überraschte ihn. Vielleicht hat er in diesem Moment von mir erwartet: „Aber schlagen ist keine Lösung.“ oder „Das geht doch nicht.“
Ich fragte ihn lediglich: „Und dann?“
Er stutze kurz und antwortete:“ Dann knallt er mir vielleicht auch eine.“
Und wieder fragte ich nur: „Und dann?“
Und er sagte: „Das möchte ich nicht.“

Und ab hier konnte das Training beginnen. Wir überlegten gemeinsam und sprachen darüber:  was möchtest du denn von dem anderen Jungen? Und mit welchem Verhalten steigt die Wahrscheinlichkeit es zu erreichen. Was kannst du selbst tun?“

Eine Schülerin nannte ein anderes Beispiel: „Wenn du willst, dass dir deine Lehrerin zuhört solltest du sie nicht anbrüllen.“ Eine 12-jährige bringt es auf den Punkt.

Und auch hier erarbeiteten wir gemeinsam in der Gruppe mögliche Handlungenvorschläge, damit die Lehrerin zuhört. Die Jugendlichen hatten viele gut praktizierbare Ideen, wie beispielsweise: erstmal fragen, ob sie Zeit hat zuzuhören und wenn nicht, dann einen konkreten Termin mit Ort und Uhrzeit zu vereinbaren für das Gespräch.

Letztendlich wollen wir doch nur, dass unsere Kinder zu glücklichen, reflektierten Menschen heranwachsen und wir können schon im Grundschulalter anfangen sie als solche zu behandeln.

Eine Situation kommt mir da noch durch den Kopf. Ich räumte gerade die Küche auf, als die kleine Sabrina wütend auf mich zukam und lauthals ihre Schwester beschuldigte: „Die Luisa hat das gemacht und jenes gemacht, obwohl sie wusste dass…“ Eine Tirade an Dingen folgte die die Schwester gemacht hatte. Als sie Luft holte, fragte ich sie: „Und was hast du gemacht?“

Plötzlich weiteten sich ihre Augen, die kleine Zornesfalte verschwand aus ihrem Gesicht. Sie drehte sich um und rief: „Luisa, wollen wir uns wieder vertragen?“

( Hinweis: alle Namen wurden geändert)